Einmal im Jahr treffen sich die "Betriebsräte" aus jeder Agentur/Behörde unserer großen Organisation um Erfahrungen auszutauschen, neue Vorschriften zu besprechen, über Personalien abzustimmen und so weiter. Da unser Vorsitzende auf Dienstreise war, hat er diesmal Belinda, zuständig für Soziale Angelegenheiten und sonst die Sekretärin unserer Abteilung, dort hin geschickt.
Nach Barcelona.
Diese Meetings finden an recht angenehmen Orten statt - wenn mal davon absieht dass man dazu fast immer aus den USA heraus muss um nach Europa zu fliegen.
Nun hat Belinda ihr ganzes bisheriges Leben ausschließlich in den Staaten verbracht, davon die weitaus meisten ihrer siebenundvierzig Jahre in Nord-Alabama und Süd-Tennessee. Auf die US Virgin Islands (gehören zu den USA als "Übersee"-Territorium) sind sie und ihr Mann einmal geflogen und das war das weiteste und exotischste was sie jemals erlebt hat.
Und nun nach Spanien. Ganz alleine.
Nun ist Belinda zwar ein echtes Country-Girl (mit Pferden auf der Koppel und im Besitz einer alten Farm) aber beileibe keine Landpomeranze. Sie weiß sich durch zu setzen und geht mit wachen Augen durch die Welt. Nur hat sie von der halt noch nicht so viel gesehen.
Hier nun ihrer Erlebnisse, so wie sie es erlebt und mir geschildert hat.
Essen und Trinken
Kaum angekommen, schon Paellla bestellt.Wobei sie erstens keine Ahnung hatte dass das das katalanische Nationalgericht ist, und zweitens nicht wusste dass darin überwiegend Meeresfrüchte zu finden sind. Der Kellner hatte ihr wohl zu verstehen gegeben, dass es ein Reisgericht sei und da dachte sie sich, was kann man da schon falsch machen. Dieser Gedanke verflog dann recht schnell, als sich ihr aus dem Bottich, der ihr serviert wurde, kleine saugnapfbewährte Arme entgegenstreckten. So etwas hatte sie noch nie gesehen und sie wusste auch nicht, was das war aber da sie neugierig und abenteuerlustig ist, und die Leute am Nebentisch das mit Genuss aßen, biss sie einfach herzhaft hinein. Und es schmeckte phantastisch! nach einigen Bissen jedoch stieß sie mit Gabel auf etwas hartes und zog es mit spitzen Fingern heraus. Eine Muschel. Mit Schale. Merkwürdig.
Aber das hatte sie wenigstens schon einmal in einem Magazin gesehen und sie wusste auch dass das Essbare im Inneren versteckt war.
Wie sie sich da nun durch Muscheln, Oktopusse und alles mögliche andere Meeresgetier kämpft gucken sie plötzlich zwei Stielaugen an.
Ein Krebs. Im Ganzen. Mit Scheren, Augen, Antennen und allem. Der saß da, gut gesotten, auf dem Boden der Schüssel und wartete geduldig auf seinen großen Auftritt. Aber das war's dann für Belinda,, die mittlerweile auch bereits fast eine ganze Flasche weißen Weines intus hatte und sich partout nicht ausmalen konnte wie man denn nun dieses Monster essen sollte. Also hat sie ihn neben die Schüssel gesetzt und er durfte ihr für des Rest der Mahlzeit dort Gesellschaft leisten.
Am zweiten Abend dann ein anderes Restaurant, vom Taxifahrer als authentisch und gut empfohlen.
Zum Glück gab es dort eine englischsprachige Speisekarte (... wie authentisch kann das wohl gewesen sein ...) und so wählte Belinda diesmal etwas, das ihr weniger Suspekt erschien - Kaninchen mit gerösteten Kartoffeln und Spargel. Zwar hatte sie noch nie in ihrem leben Kaninchen gegessen aber Fleisch ist Fleisch und was kann man da schon falsch machen ...?!
Dieser Gedanke verflog dann recht schnell als ihr das Kaninchen serviert wurde. Vielmehr waren es zwei Zwergkaninchen, die sich gut durchgebraten im Ganzen auf dem Teller gegenüber saßen, lieblich umrahmt von Kartoffeln und Spargel.
Der erste Gedanke, der ihr durch den Kopf schoss - das sind die Babies vom Osterhasen!
Der zweite - wie esse ich die denn jetzt?
Ganz einfach. Denn natürlich waren sie ausgenommen und sehr zart und saftig und Belinda konnte das Fleisch einfach so vom Knochen schneiden.
Da der Schock des Osterhasen-Mahls ihr noch etwas in den Gliedern saß, entschied sie sich am nächsten Tag auf eigene Faust los zu gehen und sich erst einmal anzusehen, was andere Gäste auf den Tellern hatten bevor sie ein Restaurant betrat.
Dabei kam sie an einem kleinen Lokal vorbei, in dem sie eine Lammkeule am Spieß erkennen konnte. Das war ganz nach ihrem Geschmack und sie bestellte das, was alle anderen dort auch aßen.
Dünne Scheiben Lamm wurden vom Spieß abgeschabt, in ein halbes geöffnetes Brot gelegt, darauf Pepperoni, Tomaten, Gurken, Krautsalat und darüber eine würzige weiße Soße gegossen, das Ganze in Alufolie geschlagen ... und fertig war der Döner. Selbstredend hat es ihr phantastisch geschmeckt, vor allen Dingen das Brot das ganz anders als in den Staaten irgendwie ... Geschmack hatte.
Vom Fleisch gefallen ist Belinda in dieser Woche also nicht, wohl aber vom Glauben. Davon handelt das nächste Kapitel.
Menschen und menschliches
Barcelona ist mit Stränden gesegnet, die mit zu den schönsten auf der Welt gehören.
Und natürlich liegt man dort überwiegend oben ohne herum. Was für Belinda, die nicht unbedingt prüde aber doch eine gottesfürchtige Southern Methodistin ist, ein Schock war. In Alabama würde man für solch ein Benehmen verhaftet, verurteilt und weg gesperrt werden. Auf der Stelle.
Aber dort, am Strand von Barcelona, tummelten sich Männlein und Weiblein ganz ungeniert in knappen bis knappsten Badehöschen und sonst nix.
Paare, angezogen oder halbnackt, gingen Händchen haltend über die Strandpromenade, es wurde öffentlich geküsst und sich so gar nicht darum geschert, was in der Bibel steht ...
Und dann waren da noch diese zwei älteren Männer, weit jenseits des Renteneintrittsalters und mit furchtbarer Körperbehaarung, die sich ganz ungeniert in ihren knappen Badetangas gegenseitig mit Sonnencreme einschmierten ... iiiiuuuuuh!
Andererseits ist Belinda aufgefallen, dass es dort - und nicht nur am Strand, sondern in der ganzen Stadt - kaum dicke Menschen gab. und schon gar nicht diese Fettgebirge wie sie einem hier im Süden in jedem WalMart massenweise auf ihren elektrischen Einkaufs-Scootern entgegenkommen. Kann vielleicht daran liegen, dass die Spanier (... Europäer ...) sich einfach besser ernähren - Kaninchen und Meeresfrüchte sollen ja angeblich sehr gesund sein.
Gesund ist auch statt mit dem Taxi zu fahren einfach zu Fuß zu gehen.Oder wenigstens das mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu kombinieren ...
Transport und Verkehr
... wenn man denn weiß, wie Bus und U-Bahn fahren funktioniert.
Gezwungenermaßen musste Belinda das ganz schnell lernen. Denn natürlich wurde sie von den Taxifahrern dort mächtig übers Ohr gehauen. Wenn man für ein und dieselbe Strecke einmal sieben Euro und danach sechzehn Euro zahlen soll, weiß selbst ein Country-Girl aus Alabama dass etwas faul ist in Katalanien.
Nun spricht Belinda kein Wort Spanisch und ihr grandioser Plan, einfach das spanische Übersetzungs-App ihres iPhones zu benutzen scheiterte kläglich daran, dass ihre hiesige Telefongesellschaft keinen internationalen Service hat und somit in Spanien ihr Telefon nicht funktionierte. Haette man auch irgendwie vor der Abreise klären können ... aber wozu, in Tennessee und Mississippi hat es ja auch immer funktioniert und das ist ja auch quasi Ausland.
Belinda hat dann ganz kleinlaut eingestanden, dass sie sich streckenweise wie ein Marsmensch vorgekommen ist, der einen IQ von 3 hat ... aber schließlich hat sie es dann doch noch heraus gefunden - nach Irrwegen und Sackgassen - wie man mit Bussen und Bahnen fährt.
Höhepunkte
Und das war auch notwendig, denn sonst hätte sie ihre Pilgertour gar nicht machen können.
Auf dem Hausberg von Barcelona, dem 512 Meter hohen Tibidabo, steht die Kirche Sagrat Cor. Deren Wahrzeichen ist eine riesige Jesus-Statue, die mit ausgebreiteten Armen weithin sichtbar ist. Und zum Fuße dieses Berges ist sie mit der U-Bahn gefahren und ist von dort aus hinauf gewandert. Hat gute sechs Stunden gedauert und sie war, oben angekommen, ganz überrascht, dass sich unter der Statue eine echte Kirche befand in die man auch noch hinein gehen konnte. Irgendwie hatte sie gedacht, die Statue sei als Touristenattraktion dort aufgestellt worden.
Herunter gefahren ist sie dann allerdings mit einem Bus - das hatte sie jetzt ja drauf.
Ein weiterer unerwarteter Höhepunkt war der Abend, den sie mit einer Flasche Wein am Strand verbrachte und an dem plötzlich der Mond ganz rot wurde. Das lag nun nicht am übermäßigen Alkoholgenuss sondern daran dass zu diesem Zeitpunkt eine totale Mondfinsternis über Europa zu sehen war.
Ami go home!
Weil Belinda neugierig ist und neue Dinge kennen lernen will, hat sie auch spanisches TV geschaut - allerdings die europäische Ausgabe von CNN. Und war dann ganz überrascht, wie viele Nachrichten es doch gab, von denen sie noch nie etwas gehört hatte. Die Krise in Syrien, die Bomben auf Lybien, das Chaos in Griechenland, die Probleme mit der Nuklearkatastrophe in Japan, Fluten in China - und keine skateboardfahrenden Katzen oder wasserskilaufenden Hunde.
Und ihr ist aufgefallen, wie überwiegend negativ (= kritisch ...) die Berichterstattung über die USA in Europa ist. Und das deckte sich auch durchaus mit ihren Eindrücken, wie sie als Amerikanerin allgemein in Barcelona behandelt wurde - eher reserviert, nicht wirklich feindselig aber doch auch nicht wirklich freundlich.
Sie fragte mich ob ihr Eindruck richtig sei, dass die USA in Europa nicht besonders beliebt seien. Ja, sagte ich, der Eindruck stimmt durchaus - und nicht nur in Europa sondern eigentlich in der ganzen Welt.
Aber sie hätte doch niemandem etwas getan - stimmt, sagte ich ihr, aber was ist mit George W., den gierigen Banken, Krieg im Iraq und in Afghanistan, der Arroganz, Kriegslüsternheit und Selbstherrlichkeit jeder US Regierung seit dem zweiten Weltkrieg?
Na ja, das gab ihr zu denken. Und dann kam sie darauf, dass die Informationen die sie aus dem TV in Alabama bekommt irgendwie nicht den realen Zustand in der Welt, oder jedenfalls nicht das umfassende Bild das ein Europäer gewohnt ist, darstellen.
Die Reise hat sich also gelohnt - sie hat etwas gelernt, ist ins Nachdenken gekommen, hat jede Menge Spaß gehabt, ist in eine andere Kultur eingetaucht, hat prima gegessen und getrunken und will unbedingt wieder zurück. Mal sehen wo das Meeting nächstes Jahr statt findet ...
No comments:
Post a Comment