Appalachia ist eine Region im Appalachen-Gebirge, die von Pennsylvania bis hinunter nach Alabama reicht.
Gekennzeichnet ist dieses Gebiet, in dem ungefähr 23 Millionen Menschen leben, durch zum Teil bittere Armut und unvorstellbar rückständige Lebensverhältnisse.
Die Appalachen waren bis in die 1960er Jahre das Zentrum des Kohlebergbaus in den USA - die Umweltschäden und die sozialen Realitäten, die die hemmungslose Ausbeutung von Mensch und Natur in dieser Region hinterlassen hat, sind immer noch nicht überwunden.
Obwohl seit den 1930er Jahren mehrere Hilfsprogramme der Regierung wenigstens die Bildungseinrichtungen, die Infrastruktur und das Strom- und Wassernetz auf einen einigermaßen passablen Stand gebracht haben, findet man im Kernland von Appalachia - Kentucky, Virginia, Pennsylvania - immer noch Gegenden, in denen es mehr Analphabeten gibt als in einem durchschnittlichen dritte Welt Land, in dem die Menschen in Baracken hausen und eine einfache Grippe mangels medizinischer Versorgung zur lebensbedrohlichen Gefahr wird.
Nun ist das nicht so, dass man diese Menschen von Seiten der Regierung "vergessen" hätte. Dieses Bergvölkchen, das sogar eigene Dialekte spricht, seine eigene Musik hat und bei dem irgendwie jeder mit jedem verwandt ist, will zum großen Teil gar nicht so leben, wie wir das für ein erste Welt Land im 21. Jahrhundert für selbstverständlich halten.
Tradition, Brauchtum, ihr eigenes Ding machen, keine Bevormundung von außerhalb - das sind die Randbedingungen, die jedes noch so gut gemeinte großangelegte Hilfsprogramm bisher haben scheitern lassen.
Diese Leute wollen gar nicht anders leben und das muss man einfach respektieren.
Andererseits gibt es sehr viele kleine Hilfsprojekte, die man als "Nachbarschaftshilfe" bezeichnen könnte, die vor allen Dingen von kirchlichen Organisationen organisiert werden. Und diese Hilfe, direkt und unmittelbar,die nicht an Bedingungen geknüpft ist und die Lebensart nicht antastet, ist dort durchaus willkommen.
Die Ford's Chapel United Methodist Church in Harvest (ja, das ist die, denen beim Tornado die 200 Jahre alte Kapelle platt gemacht wurde) führt auch in diesem Jahr wieder einen sogenannten Mission Trip für Jugendliche nach Appalachia durch. Andere Kirchen bieten so etwas zum Teil in Lateinamerika an, die praktischen Methodisten kehren lieber vor ihrer eigenen Haustür und fahren für eine Woche nach Kentucky.
Dort werden dann zwei Projekte in Angriff genommen - dieses Jahr ist es ein neues Dach für ein Haus und eine Seitenverkleidung für ein Mobile Home.
Material und Arbeitseinsatz wird dabei von der christlichen Dachorganisation des Appalachian Service Project (ASP) getragen. Bedürftige Familien bewerben sich beim ASP und die Projekte werden dann so ausgewählt, dass die jugendlichen Missionare ohne jegliche baufachliche Vorbildung das schultern können (ohne sich und andere zu gefährden).
Und da macht meine Frau zur Zeit mit. Gestern ist sie mit der Jugendgruppe der Methodisten nach Kentucky gefahren. Und heute war der erste Arbeitstag - von dem ich ein wenig schildern will.
Zunächst einmal galt es, die künftige Baustelle zu finden - die Wegbeschreibung sprach davon, dass man da, wo die geteerte Straße zu Ende sei noch eine halbe Meile weiter in den Wald fahren solle, einen Hügel rauf und dann um die Ecke ...
Das Haus dort, ein Mobile Home, oder auch Trailer genannt, benötigt eine neue Schürze - das ist das, was zwischen Trailer-Boden und Erboden den Wind davon abhält unter dem Trailer her zu pfeifen. Das mag ja im Sommer ganz angenehm sein aber in den Kentucky-Appalachian Mountains wird es im Winter richtig kalt und dann ist so eine Schürze fast schon lebenswichtig.
Nachdem der Trailer dann endlich gefunden war, kam der Schock - alte Autobatterien, ein Sofa, Kleidung, funktionsuntüchtige Rasenmäher, Abfall der allgemeinen Art, Teile der ehemaligen Seitenverkleidung des Trailers und verrottete Möbelstücke türmten sich auf dem Grundstück. Dazwischen liefen Hühner, Hasen und anderes Kleinvieh herum und im hinteren Teil waren noch vier oder fünf Hunde zu finden.
Nun haben wir hier in Alabama durchaus auch unsere Rednecks, die meinen der Planet sei ihr Abfalleimer aber so etwas hatten unsere wackeren Missionare noch nie gesehen.
Vor allen Dingen aber der Gestank - eine Mischung aus faulem Schimmel, Abfallgrube, Tierfäkalien und sumpfig-feuchtem Waldboden - machte ihnen zu schaffen.
Die erste Maßnahme war also den Dreck soweit zu beseitigen, dass man überhaupt erst einmal an die Unterseite des Trailers heran kam. Dabei wurden Verlängerungskabel gefunden, die Zentimeter tief im Waldboden verborgen waren - und die noch unter Strom standen. die Familie hatte sie einfach nach Benutzung dort liegen gelassen, jeder war wochenlang darüber gelatscht und mit der Zeit hatten sie sich einfach in den sumpfigen Boden eingegraben.
Nachdem auch dieses Hindernis beseitigt war, konnte eine erste Bestandsaufnahme des Raumes zwischen Trailerboden und Erdboden gemacht werden. Diese Trailer werden nämlich standardmäßig auf ungefähr einem Meter hohen Backsteinstapeln (oder was man gerade zur Verfügung hat - mit Zement ausgegossene Bierdosen tun es auch ...) auf gebockt. Dass bedeutet natürlich, dass darunter eine Menge Platz ist. Für zum Beispiel mehr Rasenmäher, eine lebende Schildkröte, gebrauchte Unterhosen, eine mumifizierte Ratte, mehr allgemeinen Abfall, eine Handteller große schwarze Spinne, Teile der alten Schürze, ein Hundegelege mit frisch geworfenen Welpen, mehr Hühnerkacke und Pilze und Flechten.
Eine große Debatte entbrannte dann um die Frage, ob man den Rasenmäher heraus holen solle, ihn weiter herein schieben solle oder ihn dort lassen solle wo er gerade war. Man war sich nicht sicher ob das Ding nicht mittlerweile eine tragende Funktion im Trailer-Stützenverbund inne hatte. Für heute wurde dann der Rasenmäher dort gelassen wo man ihn vor gefunden hatte.
Die Inspektion ergab außerdem, oh Überraschung, dass die sowieso nur hauchdünne Isolierschicht an der Unterseite des Trailers völlig abgegammelt war und dringend erneuert werden muss, bevor die neue Schürze angebracht wird.
Ob das von dieser Gruppe gemacht werden soll wird morgen entschieden. Das Problem dabei ist nur, dass niemand so recht weiß ob der Trailer überhaupt stabil genug ist um diese Arbeiten aus zu halten ohne von den Stützen zu kippen. Auf die Stützwirkung des Rasenmähers sollte man sich da wohl eher nicht verlassen.
Zudem kann es durchaus sein, dass unter dem Trailer noch ganz andere gefahren lauern - Klapperschlangen sind bekannt dafür solche Behausungen zu bevorzugen.
Ein Wort zu den Bewohnern von Appalachia - meine persönliche Meinung. Meine Frau wird das sicherlich ein wenig differenzierter sehen und sie ist auch diejenige vor Ort und kann das alles ganz klar besser beurteilen. Ich erlaube mir mir halt eine Meinung, weil ich solche Dinge bei meinem einjährigen Aufenthalt in Enterprise, Alabama, Mitte der 1990er Jahre durchaus auch mitbekommen habe.
Arm sein ist keine Schande, das kann jedem passieren. Aber arm und verkommen zu sein, dass ist kein schützens- und erhaltenswerter Way of Life, sondern einfach nur Verkommenheit. Und dann die Chuzpe zu haben die "Missionare" den Dreck, den man selber angehäuft hat, weg räumen zu lassen - indiskutabel. Diese Leute nutzen die Wohltätigkeit anderer schamlos aus. Und kennen überhaupt kein Verantwortungsgefühl für sich selbst, die Gemeinschaft und Umwelt.
Meine Frau berichtete von einer kleinen Schlucht neben dem Grundstück, in die diese Familie einfach ihren Müll - jedenfalls die Teile, die nicht neben und unter dem Trailer lagen - entsorgt.
Und als sie dort ankamen stand neben dem Trailer ein vor sich hin kokelnder alter Fernseher. Den hatten die Kinder am vorigen Abend aus Jux angezündet. Und der wird dort noch jahrelang stehen bleiben, sofern er eines Tages nicht auch in der Schlucht landet. Und dabei gibt es dort durchaus eine Müllabfuhr. Nur muss man die bezahlen und jedes Mal anrufen wenn man genug Müll gesammelt hat, denn der Trailer liegt natürlich nicht auf der regulären Route des Müllautos.
Mit $1500 pro Monat, keinerlei Mietbelastung (der Trailer ist abbezahlt und das Grundstück gehört dem Großvater) und geringen sonstigen fixen Kosten (was werden die schon an Strom verbrauchen ...?!) sollte das noch im Budget drin sein. Aber vielleicht sind andere Dinge ja wichtiger - mich würde interessieren, ob im Trailer ein Falt-Screen TV mit X-Box steht ...
Mir stellt sich die Frage: Haben solche Leute diese Hilfe überhaupt verdient? Vielleicht sollte man das nächste Mal doch lieber nach Guatemala fahren ...
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