Es gibt hier ja nichts, was es nicht gibt. Und so wundert man sich auch gar nicht groß, daß es hier Leute gibt, die das europäische Mittelalter nachspielen. Reenactment nennt man das hier und natürlich ist der US Bürgerkrieg das populärste Betätigungsfeld. Aber auch der Wilde Westen, inklusive echten Pistolen und Schießwettbewerben oder die beiden Weltkriege finden hier genügend Interessierte. Als Europäer steht man dem Mittelaltertrieben zunächst etwas sprachlos gegenüber. Aber wenn in Deutschland Leute Cowboy und Indianer spielen können, dann kann ich als Deutscher hier auch Ritter spielen. Also macht man einfach mal mit und nach einer Weile merkt man dann, ja, das macht Spaß, dabei bleibe ich. Niemand zwingt mich zu irgendetwas, ich kann den Level meiner Beteiligung selbst bestimmen und im Vordergrunf steht immer das gemeinsame Erlebniss, das Spaß haben mit Gleichgesinnten und die Freude am Spiel. Wer mehr möchte, etwa so authentisch wie möglich gewandet sein, der kann das auch tun - er wird Lob und ehrliche Bewunderung ernten. Aber auch die Leute in Turnschuhen mit einer einfachen gekauften T-Tunika von der Stange sind jederzeit willkommen. Das ganze nennt sich dann SCA, die Society for Creative Anachronism - der merkwürdige Name enstand bei der Gründung Mitte der sechziger Jahre in einem Anfall von gewollter Originalität und tut eigentlich nichts zur Sache.
Nun gut, wir spielen dort also mit. Haben wir schon in Deutschland getan, denn die SCA hat Mitglieder in der ganzen Welt - so um die zwanzigtausend gegenwärtig. Die Welt ist in Königreiche eingeteilt, Deutschland gehört zum Königreich Drachenwald. Hier in Huntsville sind wir im Königreich Meridies und dieses Wochenende haben wir einen neuen König gekrönt. Der wird jeweils in einem richtigen Turnier bestimmt und wird jedes halbe Jahr ausgewechselt. Er ist dann das zeremonielle Oberhaupt des Königreiches und reist herum und besucht die verschiedensten Veranstaltungen der Gruppen in seinem Herrschaftsbereich.
König kann also nur jemand werden, der auch kämpft - was ich nicht tue. Dafür habe ich mich auf die Heraldik spezialisiert und versuche mich auch ein wenig in der Kunst der illuminierten Schriften.
An diesem Wochenende bin ich nun als Lehrling (Apprentice) einer Meisterin der schönen Künste angenommen worden. Es gab eine kleine Zeremonie bei der Hofhaltung des Königs, ich bekam einen grünen Gürtel als Zeichen meines neuen Standes und wurde mitsamt meiner Familie in den Haushalt meiner Meisterin aufgenommen.
Und wenn ich recht fleißig bin, mein Wissen mehre und das gelernte weitergebe, meine Kunstfertigkeit beim illuminieren weiterentwickle und der Heraldik im Königreich gute Dienste erweise, kann ich in ein paar Jahren vielleicht auch ein Meister werden.
Auch bei seinen Hobbies hilft es, wenn man ein Ziel vor Augen hat ...
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