Friday, April 30, 2010

RAW

Bis 1985 gab es in der BRD drei Fernsehprogramme - ARD, ZDF und jeweils ein Regionalprogramm der ARD. Wir Glücklichen, die wir recht nah an der Zonengrenze zur DDR wohnten, konnten auch noch deren TV empfangen. Was insbesondere am 1. Mai immer sehr lustig war, wenn stundenlang die Parade der Arbeiter und Bauern vor den starren, wie Wachspuppen wirkenden Lenkern des Arbeiter- und Bauernstaates vorbeidefilierten. Die Betriebskampfgruppe Schwarze Pumpe, ihre Wehrhaftigkeit mit über den Bierbäuchen gehängten Kalashnikovs demonstrierend, war mein heimlicher Favorit. Bizarr.

Dann kam, natürlich nur im Westen, das Satellitenfernsehen und alles war plötzlich anders - RTL, SAT1, MTV, Sportkanäle, Nachrichtensender, Tutti Frutti mit Hugo Egon Balder und die Senkung der Schamgrenze um mindestens zwei Meter.
Wie gut zehn Jahre später mit dem Internet hat man erstmal alles, was angeboten wurde, kritik-  und gedankenlos in sich hineingesogen. Ein gutes Jahr lang habe ich alles ausprobiert was mir da entgegenflimmerte, egal wie sinnfrei das auch teilweise gewesen sein mag.
Dann war plötlzlich der Reiz des Neuen weg und ich zappte nicht mehr indigniert an den öffentlich-rechtlichen Sendern vorbei, auf der Suche nach dem nächsten Kick. Zumal die mitlerweile in einem Anspassungsprozess waren - Werbung, Titten und Skandale waren auf einmal auch in den bisher so unangreifbar erscheinenden Elfenbeintürmen des Konservativismus und der Tradition nicht mehr verpönt. Aber bis dahin war der Schaden schon angerichtet, jetzt gab es sowieso kein Zurück mehr - der nächste Schritt brachte uns das Kabelfernsehen und nochmal gefühlte dreitausend Spartensender obendrauf.

Damals, in diesem öminösen ersten Jahr des Satelliten-TV, als wir alle unsere Unschuld verloren und wie völlig derangierte, debile Kaninchen vor der Schlange der schier unerschöpflichen, maßlosen Auswahl saßen, hatte ich schnell zwei Lieblingsprogramme aufgetan - die Berichterstattung über Baseball und die WWF, die World Wrestling Federation.
Nun ja, bei Baseball bin ich dann geblieben, als Spieler, Trainer und Manager bei den Fischbeck Sharks und danach natürlich als Live-Zuschauer während meiner Aufenthalte in den USA.
Das Interesse am Wrestling ist dann allerdings nach einiger Zeit deutlich abgeflacht - man wird halt einfach älter und weiser und um Wrestling wirklich gut zu finden braucht man entweder die Neugier oder den Entwicklungsstand eines Siebenjährigen. Nun, die Neugier war irgendwann befriedigt ...

Mittlerweile hat sich der Wrestling-Zirkus in WWE - World Wrestling Entertainment - umbenannt. Auch gibt es die tollsten Ereignisse nur noch im Bezahlfernsehen zu bewundern, im "normalen" Kabel laufen Zusammenfassungen und alte Kämpfe von vor ein paar Wochen. Aber sie tingeln immer noch durch die Lande und unterhalten die Massen live. Irgendwie so wie es die Rolling Stones auch machen, nur dass die Wrestler mittlerweile ihre Mick Jagger und Keith Richards durch junge, unfaltige Talente ausgetauscht haben. Die Helden meiner Wrestling Zeit - "Hacksaw" Jim Duggan, Hulk Hogan, The Bushwackers, "Rowdy" Roddy Piper - sind schon längst auf dem Altenteil. Nur der Undertaker, ein Jahr jünger als ich alter Knochen aber immerhin noch nicht ganz so alt wie Keith Richards, ist immer noch dabei.

Ansonsten hat sich einiges geändert. Die großen Selbstdarsteller vom Schlage eines Hulk Hogan oder eines "Macho Man" Randy Savage gibt es nicht mehr. Der typische Wrestler von damals war eine Mischung aus Operettendiva, Clown und 300-Pfund-Gorilla. Heutzutage ist der Gipfel der Extravaganz erreicht, wenn einer mal ein mit Straßsteinchen besticktes Höschen trägt. Auch sind die Körper sehr viel athletischer geworden - mit Muskelmasse anstatt einfach nur Masse. Dementsprechend akrobatisch sind dann auch viele Kämpfe. Das hat schon etwas von chinesischen Kung-Fu Filmen und ist sportlich fast schon olympiareif. Leider gibt es dafür bei Olympia keine Kategorie und mal ganz ehrlich, wie sollte man denn auch entscheiden, wer der Sieger ist?
Denn natürlich sind die "Kämpfe" vorher abgesprochen und die Schläge, Sprünge und Wurfeinlagen akribisch geprobt. Das muß auch so sein, denn wenn sie richtig kämpfen würden, wären schwerste Verletzungen vorprogrammiert. Wer soetwas sehen will, der sehe sich die Ultimate Fighting Challenge an.
Dies hier ist aber gute harmlose Familienunterhaltung.
Und so fanden sich denn auch heute überwiegend Familien mit Grundschulkindern ein - der WWE Zirkus machte nämlich Station in Huntsville.

Also nix wie hin, ist schließlich - wie Western, das A-Team und Batman - ein Teil der amerikanischen Prügel-Kultur. Die Bösen verlieren immer, die Guten haben höchstens mal einen Streifschuß und die Moral  von der Geschicht ist, dass Amerika das Größte, Schönste und Beste ist, weil die Guten immer gewinnen und die Bösen immer verlieren. So einfach ist das. Versteht jeder Siebenjährige.
Na ja, die chauvinistischen Unter-, nein, Obertöne, haben die Kleinen natürlich nicht mitbekommen. Da war ein russischer Wrestler (ein Böser natürlich), der das Publikum in seiner  Muttersprache adressierte. Woraufhin er ausgepfiffen wurde. Dann bestieg der Gute den Ring (ein schwarzer Fleischklops) und erklärte ihm, dass hier Englisch gesprochen würde und dass er sich gefälligst daran zu halten hätte. Worauf das Puklikum "USA, USA" skandierte. Das gleiche passierte dann auch noch mit einem spanisch sprechenden Wrestler und einem, den sie als Italiener ausgaben, der aber einen deutlichen britischen Akzent besaß. Widerlich.

Die "Kämpfe" selbst liefen immer nach dem gleichen Schema ab - der Böse schlug den Guten mithilfe mieser Tricks und unfairer Manöver zusammen, bis das Publikum dem Guten mit Anfeuerungsrufen wieder Leben einhauchte, der sich daraufhin berappelte und mit einer letzten übermenschlichen Anstrengung (einem spektakulären Wurf/Sprung/Kombination aus beidem) den Bösen überwand. Rasender Applaus, der Böse windet sich in Agonie auf dem Ringboden, der Gute humpelt triumphierend aus der Halle - nächster Kampf.
Und die Moral von der Geschicht - niemals aufgeben, immer fair bleiben, auf die Hilfe seiner Freunde zählen, an Gott, an die USA und an sich selbst glauben und schon wird alles gut.
Wie gesagt, ein Siebenjähriger versteht das sofort.

Die handelnden Figuren sind dabei natürlich schwarz und weiß gezeichnet - die Guten sind alle lustig, fröhlich und gut drauf, die Bösen sind feige, hinterlistig, verschlagen und mißmutig. Wie im richtigen Leben.
Ganz interesant zu beobachten war, dass man live tatsächlich viel deutlicher sieht wie die Schläge daneben gehen oder mit fast gar keiner Wucht am Körper des Gegners landen. Das ist wie im Hollywood-Western, wenn sie sich im Salon prügeln.
Allerdings ist die akrobatische Leistung schon atemberaubend. Während früher maximal ein einfacher Sprung vom obersten Seil der Ringecke auf den armen, bereits am Boden liegenden Gegner drin war, ist heute von gleicher Position, allerdings auf den noch stehenden Gegner, ein doppelter Rückwärtssalto nicht Außergewöhnliches mehr. Und das alles ohne Netz und doppelten Boden. Die reinsten Zirkusnummern.
Dem stehen auch die Mädels in nichts nach, denn seit einiger Zeit gibt es in der WWE auch eine Frauenliga. Und das sind wahrlich keine Flintenweiber, die sich da herumkeilen, sondern durchtrainierte Unterhaltungs-Sportlerinnen, die ihren Job genauso ernst nehmen wie die Männer.

Nun ja, umgeben von lauter durchdrehenden Grundschülern, bei jeder Ankündigung eines neuen Kampfes zugedröhnt mit Heavy Metal Musik, nicht wissend wer zum Geier all diese Typen im Ring waren, wurden unser Großer und ich trotzdem sehr gut unterhalten. Und mit uns bestimmt dreitausend weitere Leute - das von Braun Center war allerdings nicht ganz ausverkauft.
Und nachher stellte sich dann heraus, dass wir tatsächlich alle Superstars der WWE Raw-Liga zu sehen bekommen hatten. Inklusive dem Titelträger, John Cena, dessen orangene Logo-T-Shirts zu hunderten im Publikum zu sehen waren.
Ein Titelmatch um den Frauentitel zwischen keine Ahnung wer die Blonde war und der brünetten Titelverteidigerin die sicherlich auch irgendeinen Name hat, haben wir zu sehen bekommen.
Und der Höhepunkt des Abends war das 6-Mann-Tag-Team Match zwischen drei Bösewichten auf der einen Seite, einem jamaikanischen Muskelzwerg, The Big Show (einer der wenigen einfach-nur-dick-Wrestler) und John Cena auf der anderen Seite. Einmal darf man raten, wer gewonnen hat ...





 


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