Friday, February 5, 2010

Killer Nation



Heute hat in der Discovery Middle School in Madison ein Schüler einen Mitschüler erschossen.
Der Killer, dessen Name nicht bekannt gegeben wurde weil er noch minderjährig ist, hat Todd Brown, 14, in den Hinterkopf geschossen - "weil er es verdient hatte", wie er nach den Aussagen von Augenzeugen sagte, nachdem der Streit im Gang beendet war und sich das Opfer in seinen Klassenraum begeben wollte.
Da ist man dann geschockt und sprachlos, denn soetwas erwartet man nicht in einer Schule wie Discovery, in der die meisten Schüler Kinder von Wissenschaftlern und Ingenieuren sind und zur oberen Mittelschicht gehören.
Anscheinend gehörten die beiden zu einer Gruppe von Schülern, die fasziniert von echten Jugend-Gangs in den Großstädten der USA waren und das dann "nachgespielt" haben - so wie wir früher Cowboy und Indianer oder Räuber und Gendarm gespielt haben.
Nur eben mit Platzpatronen oder laut "Peng Peng" rufend.
Hier, wo man Waffen allen Kalibers im Supermarkt kaufen kann, wird so ein Spiel dann schon mal ganz real.
Wobei der Grund für diesen feigen, kaltblütigen Mord anscheinend etwas damit zu tun hatte, dass der Killer nicht mehr mit machen wollte in der "Gang" und das Opfer ihn dann wohl in den bekannten sozialen Internetnetzwerken als Weichei und Aussteiger verhöhnt hat.
Also war der tödliche Schuß ein Racheakt, der sich auch über das Interesse am selben Mädchen, einem manipulierten Foto (Killer küßt Frosch oder so etwas in der Preislage) das in Facebook gepostet wurde oder das Gerücht, der Killer würde sich nur alle vier Wochen duschen, entwickelt haben könnte.
Jeder hat soetwas schon einmal erlebt - üble Nachrede, Gelächter, die Verletzung der persönlichen Ehre.
Dann prügelt man sich eben mit dem Verursacher, setzt selbst Gerüchte über ihn in die Welt oder schickt möglichst öffentlich in seinem Namen dem allgemein anerkannt ätzensten Mädchen oder Jungen der Schule eine Schachtel Pralinen.
Aber ihn erschießen? Das ist eine ganz andere Dimension. Und hier leider eher die Norm als die Ausnahme. Es kommt halt jeder, auch ein 14-jähriger, leicht an Waffen heran. Wahrscheinlich hatte sie sein Vater, ein unauffälliger  zur Selbstverteidigung unterm Kopfkissen liegen. Denn eine Pflicht für Waffenbesitzer, wie in Deutschland, ihre Schießeisen in einem Safe wegzuschliessen, gibt es hier nicht. 
Also passieren solche Sachen halt immer wieder. Das gehört hier zum Alltag und danach betet man zusammen, spricht sich gegenseitig Trost zu und legt ein paar Kränze am eingang der Schule nieder.
Im letzten Schuljahr hat es in den gesamten USA 22 solche Fälle gegeben. Die machen auch keine Schlagzeilen, weil es sich ja nicht um regelrechte Massaker mit vielen Toten handelt, sondern um einzelne Tragödien.
Zur Halbzeit dieses Schuljahres waren es bereits 11 Tote, man ist also auf dem Weg die Vorjahreszahl wieder zu erreichen. 
Und dieser Gewaltakt hilft nun mit, diese traurige Statistik zu befüllen.

Zum Glück, man muß es sagen obwohl es sicherlich zynisch klingt, war es "nur" eine Einzeltat und kein wildes herumgeballere mit zweistelligen Opferzahlen.
Sobald der Schuß gefallen war, ging die Schule in den sogenannten "Lock-Down" - alle Klassenzimmertüren werden automatisch verschlossen, damit eventuelle Killer, die auf mehr Opfer aus sind, an diese nicht mehr herankommen. Das ist eine der Lehren, die man aus dem Vorfall in Littleton gezogen hat, wo die Täter seelenruhig durchs Gebäude marschiert waren und in den Klassenzimmern ein Blutbad angerichtet hatten.
Unser Großer, der zum Zeitpunkt der Tat auch gerade dabei war die Klasse zu wechseln (das Opfer war in seiner Geschichtsklasse ...), wurde von der Lawine schreiender und angsterfüllter Kinder, die vom Tatort wegliefen, in einen Klassenraum gespült. Kaum drin, wurde die Tür auch schon verriegelt - und die Handys wurden gezückt. 
Zu dem Zeitpunkt war ich gerade im Flugzeug auf dem Weg von Charlotte nach Huntsville und ahnte von nichts. Gelandet, zu Hause angerufen und Bumm, das kam wie ein Faustschlag aus dem Dunkeln - ich saß da wohl ziemlich fassungslos auf meinem Sitz, während wir zum Gate fuhren.
Nur gut, dass die Lage anscheinend unter Kontrolle war und es unserem Großen den Umständen entsprechend gut ging. Er hatte mit seiner Mutter geredet, im Klassenraum waren Mitschüler und Lehrer die er kannte und die Polizei war im Anmarsch.

Herausgelassen haben sie die Schüler dann erst nach einigen Stunden - eine Taktik, um Panik zu vermeiden und alles abzusichern. In Littleton hatten die Spinner ja auch Bomben plaziert - die dann zum Glück nicht hochgingen. Aber man weiß ja nie.
Das Wochenende war jedenfalls gelaufen. Am Sonntag gab es dann eine offizielle Veranstaltung, bei der so eine Art Krisenbewältigung stattfinden sollte. Der Bürgermeister, der Schulsuperintendent und der Polizeichef hielten Reden, es wurde gebetet und sich gegenseitig Trost zugesprochen.
Am Montag ging es dann wieder zum Unterricht - mit mehr Gebeten, Trost und Reden.
Was da wirklich passiert ist, wird für die meisten wahrscheinlich erst viel später einsinken.
Gegenwärtig wird die Frage geklärt, ob der Killer, obwohl auch erst 14 Jahre alt, nach Erwachsenenstrafrecht anzuklagen sei. Denn, wie der Staatsanwalt sagte, im Jugendstrafrecht gibt es nicht die Möglichkeit, so eine schreckliche Tat angemessen zu bestrafen.
Das hilft dem Opfer auch nicht mehr, aber es befriedigt sicherlich den hiesigen Gerechtigkeitssinn. Wenigstens muß man dann keinen Lynchmob zusammentrommeln um den Killer seiner gerechten Strafe zuzuführen ...





No comments: